Gesangverein "Eintracht" 1877 

Wiesbaden-Schierstein 

Alle Vereine hatten mit mancherlei Schwierigkeiten zu kämpfen. In diesen Notzeiten traf den Verein mit dem Ableben des langjährigen Vorsitzenden Emil Spitz ein herber Verlust. Glücklicherweise konnte mit Karl Steinheimer ein Nachfolger gefunden werden, der bis ins hohe Alter wußte, was er wollte. Im Jahre 1952 schrieb Gustav Dauster über den damaligen Ehrenvorsitzenden: „Herr Steinheimer, der noch im 76. Lebensjahr in voller körperlicher und geistiger Rüstigkeit aktiver Sänger ist, kann für sich in Anspruch nehmen, zu dem Aufschwung der „Eintracht„ mit recht großem Anteil beigetragen zu haben!„

Die Schiersteiner Sängerfesttage, die über das Pfingstfest 1927 abgehalten wurden, müssen als eine einzige Demonstration für das deutsche Lied bewertet werden. Der Gesangverein „Eintracht„ hatte sie aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums unter dem Motto: „Ein Sängerfest am deutschen Rhein„ ausgerichtet. An dem Gesangswettstreit beteiligten sich 25 Vereine mit insgesamt 1565 Sängern! Die gesamte Einwohnerschaft des Hafenstadtteils nahm an diesem Fest regen Anteil. Ehrensache eines jeden Bürgers war es, der „Eintracht„ beim Aufbau des Festes „unter die Arme zu greifen„. Die alten Sänger, die damals dabei waren und auch zum Teil noch das 100-jährige Wiegenfest miterlebten , sagen: „es war eine Glanzzeit unserer „Eintracht„.

Die politischen Geschehnisse des Jahres 1933, als das sog. „Dritte Reich„ seine Macht auszuüben begann, schufen für alle Vereine neue Voraussetzungen. Der Prozeß der Gleichschaltung begann! Alle Vereine oder Organisationen, die sich diesem Ziel widersetzten, wurden einfach aufgelöst. Der NS-Kulturbund sicherte die Erfassung und Gleichschaltung der Träger des Kulturlebens. Die Obrigkeit bestimmte, und so kam es, dass der Zwang, der auf vielen lastete, ihnen die Mitarbeit verleidete.

Durch diese Einflüsse bedingt, schlingerte 1935 die „Eintracht„ in eine neue Krise. Der beliebte erste Vorsitzende Karl Steinheimer mußte abgelöst werden! Um das Vereinsschiff nicht der vollkommenen Willkür preiszugeben, und um einer sogar beabsichtigten Auflösung des Vereins entgegenzutreten, übernahm Ferdinand Birk das Amt des ersten Vorsitzenden. Der „Eintracht-Familie„ muss man in diesem Zusammenhang bescheinigen, dass sie diese Hürde elegant zu nehmen gewußt hat. Die Sänger konnten das deutsche Liedgut – wenn auch mit gewissen Einschränkungen – weiterhin interpretieren.

Die Hoffnungen, wenigstens in Frieden auch weiterhin Kulturarbeit leisten zu können, mußten im August 1939 begraben werden. Der 2. Weltkrieg – noch grausamer und brutaler als sein Vorgänger – begann zu wüten. Die Zahl der Sänger nahm rapide ab; sie wurden zu den Waffen und zum Sterben gerufen! Wen wundert es da noch, dass bald nur noch vorübergehend gesungen werden konnten. Mitten im Krieg stellte Ferdinand Birk sein Amt als Vorsitzender, wegen Arbeitsüberlastung zur Verfügung.

Sein Nachfolger wurde 1941 Adam Quetsch, der ein schweres Erbe antrat. Die Vereinsarbeit mußte notgedrungen weiter eingeschränkt werden. Immer mehr Sänger wurden eingezogen. Schließlich war es so weit, dass von einem geregelten Vereinsleben nicht mehr die Rede sein konnte.

Kein Schrecken ohne Ende. So ging auch der Krieg am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands zu Ende. Unsere Heimat war schon früher von amerikanischen Truppen besetzt worden. Das NS-Regime war zusammengebrochen! Was sollte nun werden? Die US-Militärregierung hatte alle Vereine kurzerhand verboten; sie galten als aufgelöst! Damit, so schien es wenigstens vorübergehend, war alles das, was uns Kultur- und Geistesleben bedeutete, zu einem kümmerlichen Dasein verurteilt. Die US-Behörden erkannten jedoch bald, dass eine Lockerung dieser harten Bestimmungen notwendig war. So konnten die Vereine schließlich bei der Stadt Wiesbaden Anträge auf Wiederzulassung stellen. Dabei war zu beachten, dass ein Vorstand gemeldet werden mußte, der den Vorschriften der Besatzungsmacht entsprach.

Der Gesangverein „Eintracht„ konnte diese Bedingungen 1946 erfüllen.  Um den alten und neuen Vorsitzenden Adam Quetsch scharten sich die Mitglieder, um vertrauensvoll einer neuen und schöneren Zukunft entgegenzugehen. Da auch Chormeister August Reinhardt wieder der Sängerschar vorstand, konnte nichts mehr schief gehen. Es ging schnell aufwärts. Die alten Beziehungen zu den vielen befreundeten Vereinen wurden wieder hergestellt. Wenn man bedenkt, dass 1948 mit der Währungsreform alle Reichsmark-Ersparnisse des Vereines so gut wie vollständig verloren waren, dann ist die Tatsache, dass ein Jahr später im Jahre 1949 aus eigener Kraft ein Bechstein-Flügel beschafft werden konnte, ganz besonders herauszustellen.

Das 75-jährige Jubiläum feierte die „Eintracht„ am 9. und 10. August 1952 in der Turnhalle der Turngemeinde Schierstein. Über 20 Vereine waren an der Gestaltung der Jubiläumsfeierlichkeiten beteiligt. Die Dirigentenfamilie Reinhardt wurde während des Festes verdientermaßen geehrt. Vorsitzender Adam Quetsch hatte mit seinem Festausschuß die gesamte Veranstaltung hervorragend organisiert.

Der Sängeridealist Adam Quetsch hatte nun 11 Jahre lang seiner geliebten „Eintracht„ in schlechten wie in guten Zeiten gedient. Er zog sich nun auf’s verdiente „Altenteil zurück. Daher wurde August Kunz im Jahre 1953 zum neuen Vorsitzenden gewählt. Auch ihm lag es besonders am Herzen, alte Sängerfreundschaften zu erhalten und, wenn möglich neue anzuknüpfen. Die sangesbrüderliche Freundschaft mit dem MGV 1871 „Sängerbund„ Saarwellingen, gibt davon Zeugnis. Zur Freundschaft Saarwellingen-Schierstein berichtet 1953 das „Wiesbadener Tagblatt„. u. a.:

„Wir wollen stets gute Freunde sein, ihr von der Saar, wir vom Rhein„, dieser Ausspruch des ersten Vorsitzenden Kunz vom Gesangverein „Eintracht„ (Schierstein) muß diesem Sängertreffen vorangestellt werden. Es wurde zu einem machtvollen Bekenntnis für die Sache des deutschen Liedes. Worte vermögen kaum auszudrücken, wie sich die Herzen der Saarländer und der Schiersteiner in einer Harmonie zusammenfanden, die man sich schöner nicht denken kann.„